Freebleeding

Freebleeding

Wie ich zu freebleeding kam

Das erste Mal merkte ich es nach meiner Fehlgeburt im Sommer 2020. Im Wochenbett (ja, auch nach einer Fehlgeburt gibts das Wochenbett) durfte ich, wie schon nach der Geburt unserer Tochter, keine Hygieneprodukte in der Vagina anwenden.

Wer schon mal geboren hat, oder eine sehr starke Blutung hat, kennt die riesen Binden, die dann verwendet werden (gerne auch als Surfbrett zwischen den Beinen bezeichnet ;-)). Ich mag es ganz und gar nicht, wenn da das Blut da reinsickert, es so «feuchtelt» und klebt. Deshalb ging ich, immer wenn ich das Gefühl hatte, jetzt ist Blut in die Binde geflossen, gleich zur Toilette um die Binde zu wechseln. Und dann war ich jeweils überrascht. Ich hatte zwar immer das Gefühl, dass die Binde feucht wurde, doch in den meisten Fällen war dann gar nichts drin. Wenn ich dann aber auf die Toilette sass, floss das Blut direkt. Ich fands erstaunlich, fast immer ging so gut wie nichts in die Binde. Eine Slipeinlage hätte gereicht!

Von freebleeding/freiem bluten hatte ich bis dahin kaum was gehört. Einmal erzählte mir jemand, dass in gewissen Volksgruppen, die Periodenprodukte nicht kennen, die Frauen das Blut mit den Muskeln zurückhalten und dann «hinter einem Busch» rauslassen würden. Das fand ich bewundernswert, aber nahm die Geschichte als etwas wahr, was wohl nur weitweg unserer Zivilisation funktioniert. 

Als die Blutung nach der Fehlgeburt dann so langsam endete, nahm ich mir vor bei der nächsten Periode auszuprobieren, ob das da auch klappt. Aber so im Alltag traute ich mich dann doch nicht recht…

Ein halbes Jahr später hatte ich eine Eileiterschwangerschaft und erlebte danach wieder genau das Gleiche. Die Riesenbinden blieben trocken. Mein Blut floss in die Toilette.
Bei der nächsten regulären Periode traute ich mich dann, es doch nochmal auszuprobieren. Ich war sogar gerade mit dem Auto unterwegs, doch hatte so viel Vertrauen in meinen Körper nach den ersten Erfahrungen, dass ich es einfach wagte. Und siehe da: es klappte! Ich konnte das Blut mit Beckenboden anspannen zurückhalten, bis ich bei der nächsten Toilette ankam.

Doch so ganz ohne Backup wagte ich es dann doch nicht und war froh, zu Hause wieder meine selbstgenähten, aber ziemlich unbequemen Stoff-Slipeinlagen tragen zu können.  

 

Warum funktioniert das?

Während der Periode bluten wir nicht konstant 24h/Tag. Die Gebärmutter arbeitet immer wieder ein wenig, dann kommt ein «Schwall Blut» und dann ist wieder eine Zeit lang Ruhe. Viele Völker kennen ja keine Tampons, die Frauen ausserhalb unserer Zivilisation haben vermutlich durchtrainiertere Beckenböden als wir hier😉 Freies Bluten ist an vielen Orten auf der Welt normal.
Wenn wir also wieder lernen auf unseren Körper zu achten und wahrzunehmen, was gerade passiert, können wir spüren, wann das Periodenblut fliesst.

Ein Anwendungsbeispiel

Bei mir sieht das inzwischen so aus: Am ersten Tag der Mens spüre ich immer wieder ein leichtes Ziehen der Gebärmutter. Das kann mehrere Minuten und auch länger gehen. Wenn das Ziehen verebbt gehe ich zur Toilette und das Blut fliesst. Damit das Blut nicht unten im Toilettenbecken «liegen bleibt», hilft es übrigens, vorher ein Blatt WC-Papier aufs Wasser zu legen – so wird dann auch alles runtergespült. Anfangs ging ich oft während dieses Bauch-ziehens auf die Toilette. Jedesmal tropfte ein bisschen Blut ins Wasser. Aber so musste ich alle 10 Minuten wieder gehen. Irgendwann stellt ich fest, dass ich einfach abwarten muss, bis das Ziehen in der Gebärmutter aufhört – denn dann kann ich alles aufs Mal «loslassen» und muss nicht wieder und wieder auf die Toilette.

Als Backup nutze ich seit über einem Jahr nur noch Periodenunterwäsche und zwar die von Natana Periodunderwear. Ich bin sehr begeistert von diesem System, weil die Einlagen schnell und easy auch mitten am Tag gewechselt werden können. Gleichzeitig sind sie total bequem und ohne Biozide. Ich kann auch zwischen unterschiedlich dicken Einlagen wählen, was mir mit  freebleeding sehr hilft. Zu Hause verwende ich meistens dünne Einlagen und versuche so gut es geht auf die Toilette zu gehen. Auswärts nutze ich lieber dickere Einlagen, gerne auch mit einer Membran, damit alles auslaufsicher ist, wenn mal etwas mehr in die Einlage reingeht. Ein bisschen unbezahlte Werbung muss hier sein, einfach weil ich die Natanas so mag 🙂 Ilona, die sympathische Entwicklerin und Näherin, gibt dir gerne 10% Rabatt, wenn du mit dem Code Janine10 bestellst.

Schon bei meinen ersten Erfahrungen merkte ich, dass wenn ich das Gefühl habe «jetzt, in diesem Moment, wurde meine Unterhose nass», der richtige Moment ist, um auf die Toilette zu gehen. In den meisten Fällen war dann noch gar kein Blut geflossen und ich konnte es direkt in die Toilette fliessen lassen.

Anfangs dachte ich, wenn ich ja jetzt freebleeding praktiziere, soll auch wirklich alles in die Toilette. Ich ärgerte mich darüber, wenns in die Periodenunterwäsche ging. Doch das war einfach mein Anspruch an mich selber, den ich ändern musste. Denn darum geht es bei freebleeding ja nun wirklich nicht. 
Das heisst, inzwischen würde ich einfach sagen, ich nutze als Hygieneprodukt die Periodenunterwäsche und praktiziere dazu freebleeding – einfach so wie es geht, ohne, dass es Druck oder Stress verursacht. Im Gegenteil, so frei raus zu bluten macht irgendwie stolz auf sich und das eigene Körperempfinden 🙂 Nach über einem Jahr spüre ich das nämlich schon so viel intuitiver und empfinde es inzwischen als total normal und angenehm – etwas anderes würde ich nicht mehr wollen.

Anfangs nutzte ich ausser Haus und vor allem, wenn ich vor Menschen stehen musste (Kurse, Referate…) noch den Menstruationsschwamm (kannst du hier in meinem Shop kaufen), den ich auch sehr gerne trug. Erst seit ich freebleeding praktiziere, finde ich es aber total unangenehm und unnötig vaginale Produkte anzuwenden. Deshalb liess ich auch das Schwämmchen irgendwann ganz weg.
Inzwischen konnte ich das Blut auch schon mal 30-60 Minuten zurückhalten durch Beckenboden anspannen (der Vortrag da war gerade sooo spannend, dass ich einfach nicht rausgehen wollte – aber ich hatte zu wenig Einlagen eingepackt und trug die Letzte, die für den Rest des Tages reichen musste 😅 Das klappte dann auch, dank freebleeding 😎 Ansonsten hätte ich es einfach in die Periodenunterwäsche fliessen lassen…).

Am 3.-5. Tag spüre ich die Gebärmutter jeweils kaum noch arbeiten.  Nur bei noch etwas grösseren Mengen gehts dann noch in die Toilette, kleinere Mengen landen in der Periodenunterwäsche.

 

Formen von freebleeding

Freebleeding begegnet uns seit einiger Zeit sozusagen als Bewegung in social media immer häufiger. Wenn man dazu recherchiert, findet man ganz unterschiedliche Arten, freebleeding zu praktizieren. Die einen bluten frei heraus in ihre Unterhose oder auch nackt auf eine spezielle Decke. Andere fangen das Blut auf und giessen damit ihre Blumen. Nochmal andere schmieren sich das Menstruationsblut sogar ins Gesicht. Für mich persönlich sind das eher extreme Varianten, die mich nicht ansprechen.

So wie ich es dir hier von mir persönlich beschrieben habe, ist freebleeding für mich etwas sehr schönes. Ich nehme meinen Körper noch bewusster wahr, als mit alleiniger Zyklusbeobachtung. Ich verspüre überhaupt keinen Ekel mehr im Zusammenhang mit meinem Perioden-Blut – das war früher definitiv anders. Menstruation wurde für mich zu etwas noch normalerem, was nicht versteckt werden muss und worüber man miteinander offen reden kann. Diese Aspekte will ich gerne mitfördern, in dem ich von meinen Erfahrungen erzähle – ohne daraus etwas spirituelles zu machen.

Übrigens wurde ich im Feb 2022 zum Thema freebleeding von der Zeitschrift 20min interviewt. In diesem Videointerview wird nebst mir noch eine andere Frau interviewt, die freebleeding so wie hier oben beschrieben für mich persönlich eher als Extremform praktiziert (ich komme im zweiten Teil des Videos vor):


freebleeding selber ausprobieren

Freebleeding kann unter Umständen deine Periodenschmerzen lindern. Zudem merke ich, dass es mein Körperbewusstsein stärkt und es erfüllt mich mit Freude so mit meinem Körper zusammenzuarbeiten. Ich kann also nur empfehlen: Probier es aus!

Um es selber auszuprobieren musst du ja nicht gleich am stärksten Tag damit starten. Du musst dir auch nicht vornehmen, dass du ab heute keine Periodenprodukte mehr verwendest. Wie gesagt, bei mir ist es jeweils am ersten Tag am einfachsten, da ich dort die Kontraktionen am besten spüre. Finde heraus, wie das bei dir ist. Am besten probierst du es aus, wenn du gleichzeitig geeignete Backups verwendest, wenn du zu Hause und nicht im Stress bist. Du kannst es auch mal einfach nur zwei Stunden lang oder einen halben Tag lang ausprobieren. So lange du neugierig bist und Freude an neuen Körpererfahrungen hast, mach weiter. Wenn es dich stresst, lass es wieder und versuche es ein ander Mal wieder. Sie kommt ja wieder, deine Periode 😉